[column col=”1/2″]Dyskalkulie ist eine Behinderung im Rechtssinne. Wird sie festgestellt, muss Chancengleichheit hergestellt werden.
Dyskalkulie heißt auf Deutsch Rechenschwäche. Als so genannte „geistige Teilleistungsstörung“ hat sie nichts mit einer allgemeinen Intelligenzminderung zu tun. Sie beginnt im Kleinkindalter oder in der Kindheit und wird meist auch in dieser Zeit diagnostiziert. Betroffene beherrschen grundlegende Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division kaum. Sie verstehen die dahintersteckende Logik nur schwer und haben Problem, Zusammenhänge herzustellen. Dadurch sind ihre Lösungswege erheblich länger. Sie brauchen mehr Zeit, um zu Ergebnissen zu gelangen, als Menschen ohne Dyskalkulie.
Was heißt das aber für die Leistungsbewertung in der Schule, insbesondere bei Prüfungen oder bei Versetzungsentscheidungen? In einem maßgeblichen Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts klagte eine Schülerin mit diagnostizierter Dyskalkulie erfolgreich einen Nachteilsausgleich ein. Sie erreichte eine Schreibzeitverlängerung für ihre schriftliche Abschlussprüfung im Fach Mathematik am Ende der 10. Klasse. Grundlage für diese Entscheidung bildeten ein fachärztliches Gutachten und der Grundsatz der Chancengleichheit.
Dyskalkulie gilt rechtlich als Behinderung, die nicht die grundsätzliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, sondern nur deren Nachweis erschwert. Deshalb ist hier verfassungsrechtlich ein Nachteilsausgleich möglich und geboten. Welche Maßnahme in Prüfungssituationen angewandt wird, liegt allerdings im fachlich-pädagogischen Ermessen der jeweiligen Prüfer.
Im konkreten Fall erreichte die entsprechende Schülerin eine Schreibzeitverlängerung. Ihrem Antrag auf Gewährung von Beistand durch einen Diskutanten, der mit ihr Lösungswege erörtern sollte, wurde hingegen nicht stattgegeben. Das Gericht sah auch keine Notwendigkeit, ihr eine Separierung zu gewähren. Das hätte bedeutet, dass sie die Prüfung in einem eigenen Raum und getrennt von den Mitschülern hätte schreiben dürfen. Beide Forderungen betreffen laut Gericht nicht die mathematische Leistungsfähigkeit der Schülerin im engeren Sinne. Die Schule musste aber dafür sorgen, dass die Antragstellerin während der gesamten Bearbeitungszeit ungestört war.
Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich bei Dyskalkulie ist unmittelbar durch die Verfassung begründet. Soll zusätzlich der so genannte Notenschutz greifen, also die Nichtbewertung der Mathematiknote bei Versetzungsentscheidungen, müssen besondere Gründe vorliegen. In jedem Fall ist bei diagnostizierter Dyskalkulie eine kompetente fachanwaltliche Beratung zu empfehlen. Gemeinsam können individuelle Möglichkeiten gefunden und gegebenenfalls rechtswirksame Maßnahmen eingeleitet werden, um Nachteile für Betroffene zu vermeiden.
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